08 Dezember, 2007

Unterbrechung als Unkultur

Nie gab es so viele Unterbrechungen wie heute. Das ist eine logische Folge der Vervielfachung der Kommunikationskanäle, aber auch unserer Unfähigkeit, mit dem Me­dienreichtum umzugehen. Dieses unsägliche Bündnis kommt uns teuer zu stehen, volkswirtschaftlich wie auch persönlich.

„Die Kommunikation steigt, die Konzentration sinkt, und die Effizienz
bleibt auf der Strec­ke.“ [1]

Die New Yorker Technologiefirma Basex errechnete, dass die amerikanische Volkswirtschaft jährlich 588 Mrd. Dollar durch Unterbrechungen am Arbeitsplatz verliert. Eine Untersuchung von 1.000 Büroangestellten vom Manager bis zur Sekretärin ergab, dass etwa 2,1 Stunden am Tag, also 28 Prozent eines Arbeitstages, für Unterbrechungen aufgewandt werden. Darin ist die Zeit eingerechnet, die die Person braucht, wieder zu der ursprünglichen Arbeit zurückzukehren. [2]

Peter Fischl/David Weiss, „How to Work Better“, 1991

Die Natur der Unterbrechung
Arbeitsökonomen unterscheiden aktive und passive Unterbrechungen [3] bzw. interne (internal) und externe (external) Unterbrechungen.[4] Aktive Unterbrechungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Person selbst unterbricht. Passive Unterbrechungen kommen von außen und erfolgen entweder persönlich durch Kollegen, oder treffen via E-Mail, Mobiltelefon oder Instant Message ein.
Auffällig ist, dass der durchschnittliche Büroarbeiter sich selbst genauso oft unterbricht, wie er von außen unterbrochen wird.[5] In diesem Fall spricht von der vorauseilenden Unterbrechung oder auch der Tyrannei der Bequemlichkeit. Sich ablenken zu lassen, ist eine willkommene Entschuldigung, unliebsame Aufgaben vor sich herzuschieben (Aufschieberitis). [6]
Unterbrechungen können von Vorteil sein, wenn sie Informa­tionen liefern, die für die Lösung der aktuelle Aufgabe nützlich sind. Häufig werden Unter­brechungen aber als störend empfunden. Entprechend einer Studie von González, Harris, Mark (2005) [7] schätzten Wissensarbeiter eine Unterbrechung dann als besonders störend ein, wenn erstens die unterbrochene Aufgabe viel Konzentration erforderte, zweitens die Unterbrechung dazu führte, dass man den roten Faden verlor, oder drittens eine Aufgabenwechsel provoziert wurde (shift working spheres).

Uneffektiv durch fragmentierte Arbeit
In der qualitativen Studie ermittelten die Computerwissenschaftler Gonzáles, Harris und Mark von der University California die Arbeitsabläufe von 7 Managern, 8 Programmierern und 9 Analysten einer kalifornischen Hightech-Firma. Sie beobachteten insgesamt 700 Stunden lang ihre eher kleine Untersuchungsgruppe, erfassten per Stoppuhr jeden Arbeitsschritt und notierten jede Unterbrechung (Teilnehmende Beobachtung – Shadowing). Ihre Ergebnisse lassen Charlie Chaplins Filmklassiker Moderne Zeiten verblassen: Nach jeder Unterbrechung wendet sich der Büroarbeiter mindestens zwei neuen Arbeiten zu, bevor er nach 25 Minuten wieder zu der ursprünglichen Tätigkeit zurückkehrt. [8] Bis er sich in diese Aufgabe wieder eingearbeitet hat, vergehen acht Minuten.[9] Danach ­beschäftigt sich der moderne Wissensarbeiter elf Minuten mit einem Aufgabenbereich (working sphere), bevor er unterbrochen wird und sich einer anderen Aufgabe widmet. Diese Zeit ist nochmal in kürzere Segmente von durchschnittlich drei Minuten unterteilt, in denen der Proband zwischen verschiedenen aufgabenbezogenen Tätigkeiten (events) wechselt, zum Beispiel dem Schreiben einer E-Mail, dem Lesen eines Dokuments oder einem Telefonanruf.[10] Entsprechend der Studie von Gonzáles, Harris und Mark ist der Arbeitstag eines durchschnittlichen Büroangestellten zu mehr als der Hälfte (57 Prozent) auf diese Weise fragmentiert (fragmented work). Immerhin kehrt er in der Mehrzahl der Fälle (72 Prozent) noch am selben Tag zu der ursprünglichen Aufgabe zurück. Allerdings muß er häufig von außen, zum Beispiel per Telefon oder durch einen Kollegen daran erinnert werden.[11] Der Verlust an Effektivität läßt sich durch den sogenannten Sägeblatteffekt erklären: Nach jeder Unterbrechung muß sich der Wissensarbeiter wieder neu in die Aufgabe eindenken. Entsprechend verläuft die Leistungskurve gleich einem Sägeblatt. Arbeitspsychologen haben errechnet, dass häufige Unterbrechungen die Leistungs­fähigkeit um 30 Prozent mindern. [12]

Sägeblatteffekt, Seiwert, 2006

Aufmerksamkeitsschwäche
Fragmentiertes Arbeiten fördert das Kurzdenken und bringt ein zersplittertes Bewußtsein hervor.[13] Wenn wir in kurzer Abfolge zwischen verschiedenen Aufmerksamkeitsfeldern hin- und herwechseln, kann das laut dem Hirnforscher Ernst Pöppel in einer Art schizoidem Denken münden, mit dem nichts mehr verbunden ist und wo jede Nachhaltigkeit der Informationsverarbeitung fehlt.[14] Das würde bedeuten, dass nichts mehr im Gedächtnis bliebe und jede Erinnerung sofort wieder gelöscht würde.[15]
Wenn durch Unterbrechungen fragmentierte Arbeit, mit Symptomen wie Ruhe­losigkeit, Zerstreutheit und Konzentrationsschwäche einhergeht, sprechen Psychologen von einer vorübergehenden Aufmerksamkeitsschwäche (ADT - Attention Deficit Trait) [16]. Der Psychiater Dr. Edward Hallowell wurde auf die umweltbedingte Krankheit aufmerksam, als Patienten über einen starken Leistungsabfall und die Unfähigkeit, Prioritäten zu setzen, klagten. Er gab ihr analog zu der genetisch bedingten Aufmerksamkeitsstörung (ADD - Attention-Deficit Disorder) ihren Namen. Auffällige Symptome sind Ablenkbarkeit, Ruhelosigkeit, Irritierbakeit, Impulsivität und das Gefühl, daran auch noch schuld zu sein. Der Betroffene bleibt trotz steigender Arbeitsstunden unter seinem Leistungsniveau, seine Arbeit wird immer fehleranfälliger. Verursacht wird die vorübergehende Störung durch eine überbordene Last an Information und miteinander konkurrierenden Aufgaben, die es unmöglich machen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.[17]

[1] Ramge, Th., In: brandeins, 7/2007
[2] von Rutenberg, J. In: Die Zeit - Leben, 9.9.2006, Whittacker, S. (2002)
[3] Ebd.
[4] González, Harris, Mark (2005)
[5] González, Mark (2004)
[6] Ramge, Th., In: brandeins, 7/2007 und Wernecke, M. In: Financial Times Deutschland, 23.4.2007
[7] González, Harris, Mark (2005)
[8] Ebd.
[9] Ramge, Th., In: brandeins, 7/2007
[10] González, V., Mark, G. (2004)
[11] González, V., Harris, J., Mark, G. (2005)
[12] Seiwert, L. (2006) und Fraunhofer
Gesellschaft (2007)
[13] Ramge, Th., In: brandeins, 7/2007 und Wernecke, M. In: Financial Times Deutschland, 23.4.2007
[14] Pöppel, E., Interview, In: Telepolis, 24.02.1999
[15] Blawat, K., In: Spiegel Online, 1.7.2007
[16] Hallowell, E. M., In: Harvard Business Review, 1.1.2005
[17] Wallis, C. und Steptoe, S., In: Time Magazine, 9.1.2006