17 Januar, 2008

Exkurs Microsoft Research

Microsoft arbeitet schon seit Jahren an einer technischen Lösung, der Informationsüber­lastung Herr zu werden, nachdem es wie andere Softwareunternehmen auch über Jahrzehnte Informationswege beschleunigt hat.

1. Software „Scope“
Die Software „Scope“ [1] ist eine Benachrichtigungs-Plattform, die garantieren soll, dass der Computer nur die Informationen durchlässt, die wichtig sind, und das auch nur dann, wenn es uns gerade nicht stört. Information soll auf einen Blick erfassbar und Unterbrechungen durch einen Medienwechsel vermieden werden.
„Scope“ besteht aus einem kreisförmigen, mehrfarbigen Radar [2], der in vier Sektoren unterteilt ist. Darin sind die vier Kommunikationsdimensionen E-Mail (Inbox), Webbenachrichtigungen (Alerts), Aufgaben (Tasks) und Kalender (Meetings) organisiert. Der Radar ist in drei Ringe mit unterschiedlichen Dringlichkeiten gegliedert. Im Zentrum stehen Nachrichten oder Aufgaben mit hoher Dringlichkeit. Im mittleren Kreis sind die Dinge mit normaler Dringlichkeit platziert. An der Peripherie sind alle übrigen Dinge mit niedriger Dringlichkeit angeordnet. Die Inbox ist eine Unibox, das heißt sie sammelt alle Nachrichten aus unterschiedlichen Kommunikationskanälen.

„Scope“ sieht zwei unterschiedliche Modi vor: Im peripheren Modus (Low LOD) befindet sich der Radar klein in einer Bildschirmecke. Im aktiven Interaktionsmodus (High LOD) steht der Radar als Vollbild auf dem Bildschirm.


Mock-up, Microsoft Research

Auf den vier Sektoren befinden sich Symbole, die für unterschiedliche Kommunikationsmedien und Zustände stehen. So hat das Symbol, das für eine neue E-Mail steht, beispielsweise die Farbe pink, eine gelesene E-Mail die Farbe weiß. Eine überfällige E-Mail wird durch einen unscharfen Glow-Rand gekennzeichnet. Das Zeichen „–“ steht für eine Mail, die nur an mich adressiert ist. Mit einem „y“ sind Mails versehen, die an mich und wenige andere Empfänger adressiert sind.

Meines Erachtens handelt es sich bei dieser Software um einen guten gedanklichen Ansatz. Man erkennt Parallelen zur Unified Communication, die ebenfalls eine Bündelung der zahlreichen Kommunikationskanäle vorsieht.
Allerdings müssen alle Parameter vom Nutzer selbst voreingestellt werden. Es besteht die Gefahr, dass eine Nachricht von einer unbekannten Person an der Peripherie hängen bleibt, obwohl sie eine wichtige Information enthält. Weiterhin wird nicht zwischen wichtig und dringlich unterchieden. Ein Usability-Test [3] der Firma Microsoft ergab, dass die Ikonographie der Symbole auf dem Radar sehr abstrakt ist. Ein spezielles Training ist nötig, um die Symbolik zu erlernen.

2. Notification Manager
Dieser Forschungsansatz um Eric Horvitz von Microsoft Research geht sogar noch weiter als die Software Scope. Ziel des Notification Managers [4] ist es, computergestützt zu erkennen, ob ein Wissensarbeiter Zeit für eine Unterbrechung hat oder seine ganze Konzentration für die Aufgabe benötigt, an der er gerade sitzt. Dabei wird Aufmerksamkeit als ein wertvolles Gut betrachtet, das seinen Preis hat. Das Softwaremodell mißt die Kosten einer Unterbrechung an dem Nutzen, die sie hervor bringt. Diese Kosten entsprechen einem Faktor I – Interruptability, den man zahlen würde, um die Unterbrechung zu vermeiden. [5]
In einer Trainingsphase wird der Nutzer gebeten, die Kosten für eine auftretende Unterbrechung ungefähr einzuschätzen. Eine Standard-Unterbrechung kostet dabei 1 Dollar.[6]

Interruption Workbench, Microsoft Research

Entscheidungsmodell, Microsoft Research

Visual Alerts in Form von Notizzetteln, Microsoft Research

Im Anschluss daran werden auf mehreren Ebenen Informationen gesammelt, um zu erfahren, was der Wissensarbeiter gerade tut. Ein Head-Tracking System nimmt die Aktivitäten am Bildschrim auf. Kamera und Mikrophone registrieren Geräusche, Mimik und Gestik des Nutzers. Ein Bewegungssensor verfolgt seine Bewegungen. Daraus wird geschlußfolgert, was der Wissensarbeiter gerade tut – ob er zum Beispiel recherchiert, einen Text liest oder sich mit Kollegen unterhält.
Diese Informationen werden mit Kalendereinträgen und der Tages- und Uhrzeit abge­glichen und in Bezug auf ihre Interruptability geprüft. In einem Entscheidungsmodell werden dann Arbeitsmenge, Arbeitsfokus und die zu erwartenden Kosten abgewogen. Der Notification Mangager entscheidet daraufhin, ob er eine ankommende Mail durchläßt oder sie zurückhält und erst nachliefert, wenn der Mensch wieder aufnahmebereit ist.

Sogenannte Visual Alerts veranschaulichen die zu erwartenden Kosten der Unterbrechung und den Nutzen der dargebotenen Information. [7]

Der intelligente Kommunikationsfilter wird seit vielen Jahren von Microsoft angekündigt, einsatzfähig ist er jedoch nicht. [8] Das liegt vielleicht daran, dass die Vorstellung wie in einem BigBrother-Container 24 Stunden überwacht zu werden, für die Wenigsten verlockend ist. Darüber hinaus ist grundsätzlich ungeklärt: Wollen sich Nutzer, die Organisa­tion ihrer Arbeit von intelligenten Rechnern überhaupt abnehmen lassen? Kann auch der lernfähigste Computer der Individualität seiner Nutzer gerecht werden? [9]
Leider weist die Umsetzung der Kommunikationsplattform auch entscheidende Mängel auf: Die Interruption Workbench selbst wurde als störend empfunden, denn das Popup-Fenster bindet unsere Aufmerksamkeit in einem zu hohen Maße. Die Visual Alerts sind in ihrer visuellen Gestaltung eher ablenkungsfördernd als aufmerksamkeitsschonend.

[1] Microsoft Research, van Dantzich, M., Robbins, D., Horvitz, E., Czerwinski, M.
[2] Meckel, M. (2007)
[3] Microsoft Research, van Dantzich, M., Robbins, D., Horvitz, E., Czerwinski, M.
[4] Benachrichtigungs-Manager, Horvitz, E., Kadie, Paek, Hovel (2003)
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] Horvitz, E., Apacible (2003)
[8] Ramge, Th. (2007)
[9] Wernecke, M. (2007)

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