08 Dezember, 2007

Mythos Multitasking

Als Antwort auf die große Menge an Information und die zu verarbeitende Kommunikation mit anderen Menschen versuchen wir, vieles gleichzeitig zu erledigen und so Meister im Multitasking zu werden. Wir meinen, Zeit zu sparen, wenn wir während des Telefonanrufs noch schnell eine E-Mail zu Ende schreiben oder unser Frühstück am Laptop lesend verdrücken. Doch anstatt viele Dinge auf einmal zu erledigen, bleiben angefangene Aufgaben liegen und müssen später erneut in Angriff genommen werden.

Kürzlich gab es in der NGBK Berlin eine Ausstellung mit dem Titel "Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis" sowie ein gleichnamiges Symposium, das erstmals auf interdisziplinäre Weise das Phänomen "Multitasking" thematisierte. Nachfolgend lasse ich einige künstlerische Arbeiten der Ausstellung einließen und stelle Auszüge aus der Publikation anläßlich der Ausstellung vor, die den Stand der Diskussion umreißen.

Lars Siltberg, „Ambidextrous Performance“, 2006, HD Video, 18min. Lars Siltberg versucht vor einer Tafel sitzend simultan mit beiden Händen und Füßen zu schreiben.

Der Begriff Multitasking stammt ursprünglich aus der Informatik und steht für das gleichzeitige Ausführen mehrerer Aufgaben (tasks). Es setzt das Parallel Computing voraus, weil sonst Rechner Aufgaben nur in sehr schneller Abfolge hintereinander abarbeiten, so dass nur der Eindruck einer Gleichzeitigkeit ­entsteht. [1]
Um es gleich vorweg zu nehmen: Aus neuropsychologischer Sicht ist der Mensch nicht fähig zum echten Multitasking (präemptives Multitasking), also zwei oder mehr Dinge zur selben Zeit mit der gleichen Konzentration auszuführen. Hirnforscher Ernst Pöppel in einem Interview 1999: „Es kann immer nur ein Sachverhalt in einem bestimmten Zeitpunkt im Mittelpunkt des Bewußtseins stehen.“[2] Unser Gehirn ist zwar in der Lage, mehrere Eindrücke gleichzeitig wahrzunehmen, aber nicht, mehrere Dinge gleichzeitig auszuführen. Müssen wir viele Aufgaben auf einmal erledigen, läßt unsere Effektivität und sogar unser Denkvermögen nach.
Eine Studie, durchgeführt am Center for Cognitive Brain Image in Pittsburgh (2001), zeigte die Grenzen der kognitiven Fähigkeiten des Menschen auf. Im Kernspintomografen wurden alle 3 Sekunden die Gehirnströme von 18 Probanden gemessen, während sie mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen mußten. Zunächst lasen die Forscher den Versuchspersonen nur einfache Sätze vor. Erwartungsgemäß waren die Gehirnareale der Zuhörer, die für die Spracherkennung zuständig waren, höchst aktiv. Als sie jedoch gleichzeitig zwei komplexe dreidimensionale Objekte miteinander vergleichen sollten, sank ihre für das Sprachverständnis aufgewendete Hirnaktivität um 53 Prozent. [3]
Es bereitet uns keine Schwierigkeiten, mehrere einfache Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen, wenn wir den Fokus der Aufmerksamkeit auf einem Sachverhalt halten und im Hintergrund mit gleitender Aufmerksamkeit, die andere Tätigkeit erledigen.[4] Die Wissenschaft spricht von Polychronität.[5] Wir können problemlos spazieren gehen und uns dabei unterhalten, Zeitung lesen und dabei frühstücken und auch Auto fahren und dabei Radio hören. Es handelt sich dabei um Tätigkeiten, die wir erlernt haben und deshalb automatisch ausführen (Habitalisierung).
Komplexe Aufgaben, die gleiche Gehirnreale beanspruchen, können wir aber nur zu Lasten anderer Tätigkeiten ausführen. Wenn wir zum Beispiel Zeitung lesen und dabei frühstücken, können wir uns kaum mit unserem Gegenüber unterhalten. Das gilt nicht nur für zeitungslesende Männer, sondern auch für Frauen. Beide versuchen, zwei sprachbasierte Handlungen auszuführen, mit der Folge, dass entweder nicht richtig zugehört oder der Zeitungsartikel mehrmals gelesen werden muß.

„Kommunikatives Multitasking gibt es nicht.“[6]
So ist es absolut unmöglich, ein Telefongespräch aufmerksam zu verfolgen und gleichzeitig eine E-Mail zu schreiben. Auch eine SMS unter dem Schreibtisch tippen und simultan der Vorlesung des Professors zu zuhören, kann nicht gelingen, denn in beiden Fällen müssen Tätigkeiten in unserem Sprachzentrum verarbeitet werden.

Die kognitiven Fähigkeiten des Menschen reichen nicht aus, zwei anspruchsvolle Aufgaben gleichzeitig mit gleicher Aufmerksamkeit und Leistung zu bewältigen. Marcel Just vom Center for Cognitive Brain Image in Pittsburgh: „Übung kann eine oder beide der Aufgaben automatisieren, aber es gibt immer eine Grenze.“[7]

Automatisch Autofahren
Von der Automobilindustrie wird gern behauptet, dass wir beim Autofahren sehr wohl multitaskingfähig sind. Beleg dafür sind Unfallstatistiken, die aussagen, dass das Unfallrisiko trotz höheren Verkehrsaufkommens seit der Einführung des Automobils stetig abnahm.[8]
Sicherlich ist das Autofahren ein komplexer Prozeß, es müssen Aufgaben simultan auf verschiedenen Ebenen ausgeführt werden. Zu den primären Aufgaben zählt das Fahren an sich, das aus den Tätigkeiten Stabilisieren, Manövrieren und Navigieren besteht. Sekundäre Aufgaben sind das Blinken oder das ­Überwachen des Tachometeres. Zu tertiären Tätigkeitsfeldern zählen das Telefonieren am Steuer oder das Bedienen eines Navigations­systems.[9]
Die Bewältigung dieser komplexen Bewegungsabläufe und Entscheidungsprozesse müssen aber zuvor in einem Training, nämlich durch den Erwerb des Führerscheins, erlernt werden. Erst nach erfolgreich bestandener Fahrprüfung ist das Autofahren habitualisiert, und das Aufnehmen und Verarbeiten von Informationen aus dem Fahrzeug und der Verkehrssituation geschieht weitgehend automatisch.
Verkehrspsychologen ihrerseits bestreiten die Fähigkeit des Autofahrers, mehrere Dinge gleichzeitig auszuführen und beklagen eine zunehmende Informations- und Funktionsfülle im Fahrzeuginneren. Sie stellen diese in einen direkten Zusammenhang mit einem erhöhten Unfallrisiko. So ergab eine Versuchsreihe an der Utah-University in Salt Lake City, dass Autofahrer, die am Steuer telefonieren, ein viermal höhreres Unfallrisiko aufweisen, als solche, die sich allein auf den Verkehr konzentrieren. Die telefonierenden Fahrer haben besonders Schwierigkeiten mit unerwarteten Situationen, zum Beispiel einem bremsenden Auto vor ihnen.[10] Ihr Blickfeld ist stark eingeschränkt und ihr ­Reak­tionsvermögen sinkt auf das eines angetrunkenen Autofahrers mit 0,8 Promille Blutalkoholspiegel herab.[11]
Das Benutzen einer Freisprechanlage ändert dabei nichts an der hohen Unfallquote.[12]
Torsten Schubert von der Humboldt-Universität Berlin:
„Das Problem ist nicht, dass man nur eine Hand am Lenkrad hat, sondern dass man sich für die richtige Reak­tion entscheiden muss – sowohl im Straßenverkehr wie beim Gespräch am Handy.“  [13]
Der Widerspruch zwischen den Ergebnissen der Automobilindustrie und der Verkehrspsychologie erklärt sich vielleicht folgendermaßen: Unsere Straßen und Autos sind sicherer geworden – dank Sicherheitsgurt, Airbag und ABS.[14] Das kompensiert womöglich sowohl das höhere Verkehrsaufkommen auf den Straßen als auch die größere Informationsfülle im Fahrzeuginnern.
Gezielte Information kann die Gesamtleistung des Fahrers sogar verbessern. So ist die Wegbeschreibung eines Navigationsgerätes nicht ablenkend, sondern für den nicht ortskundigen Fahrer eine deutliche Entlastung.[15] Die Betonung sollte hier auf „für das Autofahren gezielte Information“ liegen. Unbestritten ist, dass das parallele Lesen von patentgefalteten Falk-Stadtplänen genauso ablenkend und riskant ist wie der Streit über den richtigen Weg mit dem Beifahrer, denn unser Gehirn, kann nicht zwei Handlungen auf einmal ausführen.

[1] Mandel, H., (2007) In: Katalog anläßlich der Ausstellung und des Symposiums „Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis“
[2] Pöppel, E. im Interview, In: Telepolis, 24.2.1999
[3] Rötzer, F., In: Teleplolis, 28.7.2001,
[4] Pöppel, E. im Interview, In: Telepolis, 24.2.1999
[5] Meckel, M. (2007) zit. n. Hall, E.T. (1983)
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Bengler, K.(2007), Projektleiter der Abteilung Mensch-Maschine Interaktion der BMW Group Forschung & Technik GmbH, In: Katalog anläßlich der Ausstellung und des Symposiums „Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis“
[9] Ebd.
[10] Rötzer, F., In: Teleplolis, 30.1.2003
[11] Strayer, D. L., Drews, F. A., Crouch, D. J. (2006)
[12] Rötzer, F., In: Teleplolis, 28.7.2001 und Blawat, K. In: Spiegel Online, 1.7.2007
[13] Ebd.
[14] Antiblockiersystem
[15] Bengler, K.(2007), Projektleiter der Abteilung Mensch-Maschine Interaktion der BMW Group Forschung & Technik GmbH, In: Katalog anläßlich der Ausstellung und des Symposiums „Multitasking – Synchronität als kulturelle Praxis“